Angst – das ist in den Zeiten von Corona
ein sehr präsentes Gefühl

Ich möchte Ihnen aus christlich-therapeutischer Sicht ein wenig Hilfestellung leisten. Zunächst wollen wir die zwei Formen von Angst unterscheiden, die unterschiedlich zu bewältigen sind:

Realangst und irreale Angst

Reale Angst:

  • Wenn sich nichts verändert, wird die Bedrohung  unweigerlich eintreten. Sie liegt unmittelbar bevor.
  • Die Wahrscheinlichkeit, dass die Bedrohung eintritt, ist mittel bis hoch.
  • Andere Menschen halten eine Vorsorge vor dieser Bedrohung für vernünftig.
  • Ich bin ggfs. selbst in der Lage, durch mein Verhalten der Bedrohung zu entgehen oder sie zu vermindern.
  • Ich kann andere um Hilfe bitten, um der Bedrohung zu entgehen.
  • Kriegszeiten, Krisenzeiten, schwere Krankheiten.

Zwei allgemeine Beispiele:

Wenn ich mit einem kleinen Kind an einer vielbefahrenen Straße entlanggehe, dann halte ich das Kind aus Realangst fest an der Hand. Denn falls das Kind plötzlich auf die Straße läuft, ist ein Unfall mit einem Auto durchaus wahrscheinlich.

Wenn ich wegen finanzieller Unsicherheit in Zeiten von Corona Angst habe, dann ist es in der Tat wichtig, sich über die eigene finanzielle Zukunft Gedanken zu machen und Maßnahmen zu ergreifen, ggfs. Anträge auf Unterstützung zu stellen. Wer nicht einem system-relevanten Beruf arbeitet, könnte sich in Zeiten von Quarantäne und Geschäftsschließung zuhause fortbilden, um am Ende der Corona-Krise gestärkt wieder durchzustarten.

Irreale Angst:

  • Die Wahrscheinlichkeit des Eintretens liegt in der Zukunft und hat nur wenig Wahrscheinlichkeit.
  • Wir wissen nicht und können gegebenenfalls nicht wissen, ob die befürchtete Bedrohung wahr wird.
  • Es gibt Menschen, denen macht die Befürchtung keine Angst.
  • Wir haben uns schon vergewissert.
  • Andere haben uns schon bestätigt, dass die Angst irreal ist, ggfs. mehrfach.
  • Die Bedrohung ist wenig greifbar.
  • Die Angst geht mit einem Fehlen eigener Kontrollmöglichkeiten einher.

Zwei allgemeine Beispiele:

Angst vor Corona christlich begegnen
Schenken Sie Ihre Ängste dem Osterhasen!

Wenn ich in Deutschland lebe und stetig Angst davor haben, zu verarmen und obdachlos zu werden. Unser Staat ist sehr gut aufgestellt, jedem Bedürftigen das Notwendige zur Verfügung zu stellen, eine  Kooperation mit den zuständigen Stellen vorausgesetzt.

Wenn ich in einer Beziehung leben und stets Angst habe, der Partner könnte mich verlassen, obwohl er mir immer wieder bestätigt, bleiben zu wollen, kann diese Angst irreal sein.

Welche Ängste sind während der Corona-Krise besonders häufig und was können Sie tun:

Angst vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus

Realmaßnahmen: Sie können sich nach bestem Wissen schützen. Folgen Sie den Anweisungen der öffentlichen Stellen, um Selbst- und Fremdgefährdung zu minimieren. Waschen Sie sich die Hände regelmäßig, vor allem, wenn Sie mit anderen Kontakt hatten oder draußen waren, z.B. Einkaufen. Wenn Sie über 60 Jahre alt sind, lassen Sie sich gegen Pneumokokken impfen, damit sich nicht eine zusätzliche Lungenentzündung aufsattelt, wenn Sie krank werden. Tun Sie ihr Mögliches. Den Rest überlassen Sie bitte Gott.

Essen Sie gesund, schlafen Sie ausreichend, machen Sie zuhause Gymnastik und vermeiden Sie Stress, denn Stresshormone schwächen Ihr Immunsystem. Beten Sie immer wieder das Entspannungsgebet, das kontemplative Gebet, praktizieren Sie Autogenes Training oder progressive Muskelentspannung nach Jacobson. Nutzen Sie die Zeit, um in einen Sie tragenden Gebetsalltag hineinzukommen. Beten Sie zuhause mit Ihrer Familie, lesen Sie die Bibel. Fokussieren Sie sich auf Dankbarkeit und das Gute, was jetzt möglich ist, während anderes zwangsweise ruhen muss. Denken Sie an die und das, was Sie lieben. Freuen Sie sich an schönen Erinnerungen.

Hier eine Aufnahme vom Gottesdienst am Palmsonntag mit der Passionsgeschichte, wenn Sie Ihren Gottesdienst vermissen.

Trotzdem kann es sein, dass Sie krank werden. Bleiben Sie auch mit diesem Gedanken gelassen und denken Sie an die hervorragende Situation des Gesundheitssystems in Deutschland. Denken Sie daran, dass so viele Menschen nur leichte Symptome haben und wieder gesund werden. Vertreiben Sie mit Gottes Hilfe alle unnötigen Katastrophenvisionen und glauben Sie an Ihre Genesung.

Gebete und geistige Werkzeuge:

  • Jesus sagt: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Je mehr Sie ihren Glauben stärken, umso niedrieger ist Ihr Stress. Nutzen Sie die Jahreslosung: „Ich glaube. Hilf meinem Unglauben.“
  • Beten Sie, dass Gott sich Ihrer Ängste annimmt, z.B. „Lieber Gott, bitte erfülle meine Angst (Gedanken, Gefühle) durch Deinen Heiligen Geist.“
  • Lesen Sie Psalmen, z.B. die Psalmen 23 und 91.
  • Singen Sie gegen die Angst an mit Taizé-Liedern, die durch ihre Wiederholung ihrem Denken eine neue Richtung schenken können. Sie können sich die Lieder bei Youtube anhören oder sich bestellen, wenn Sie auf das Bildchen klicken. :
        • Behüte mich Gott

        • Meine Hoffnung und meine Freude

        • Christus, Dein Licht

        • Bleib mit Deiner Gnade bei uns

  • Stärken Sie Ihr Immunsystem auch geistig:
    • „Guter Gott, bitte segne, stärke und erfülle mein Immunsystem durch Deinen Heiligen Geist.“

Angst vor Atemnot bei Corona

Sollten Sie erkranken und in Atemnot bekommen, so folgen Sie zunächst den ärztlichen Anweisungen.

Als Gebet hat mir persönlich bei einer schweren Bronchitis und dem zugehörigen Reizhusten stets folgendes Gebet geholfen:

  • Bei Erkrankung: „Atme mich, Du Heiliger Geist, damit meine Atemwege (meine Lunge) heilen.“
  • Bei Reizhusten: „Atme mich, Du Heiliger Geist, damit sich meine Lunge entspannt.“

Existentielle Ängste

Im Moment ist es für viele von uns so, dass wir mit weniger Geld auskommen müssen, unser Arbeitsplatz vielleicht gefährdet ist durch die heute noch nicht absehbaren Folgen der Corona-Krise. Was ist wichtig in dieser Zeit?

  • Gottvertrauen

Gottvertrauen wächst in Zeiten der Not, durch Erfahrungen und Prüfungen. Gerade wir Christen können in dieser Zeit als gutes Rollenmodell vorangehen. Stärken Sie den Muskel Ihres Vertrauens und Ihres Mutes! Denn: „Durch ihn haben wir auch im Glauben den Zugang zu der Gnade erhalten, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes. Mehr noch, wir rühmen uns ebenso der Bedrängnisse; denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“ Ebenso in Sacharja 13,9: Das Drittel will ich ins Feuer werfen und ich werde sie läutern, wie man das Silber läutert, und werde sie prüfen, wie man das Gold prüft. Ja, es wird meinen Namen anrufen und ich werde es erhören. Ich werde sagen: Mein Volk ist es. Und das Volk wird sagen: Der HERR ist mein Gott.

  • Ein gutes Netzwerk

Investieren Sie in zwischenmenschliche Beziehungen. Wachsen Sie mit anderen zusammen, teilen Sie, wo Sie können. Schaffen Sie dort, wo Sie sind, Gottes Reich. Definieren Sie Ihren Schatz neu: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben…Verschafft euch einen Schatz, der nicht abnimmt, im Himmel, wo kein Dieb ihn findet und keine Motte ihn frisst! Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.“ (Lk 12)

  • Nutzen Sie die Zeit!

Investieren Sie in sich. Was macht Sie zu dem Menschen, der Sie immer sein wollten? Neue Fähigkeiten, eine Zusatz-Ausbildung? Ein gesunder Alltag, der Sie trägt? Ein ruhiger und ungetrübter Geist? Eigenschaften, die Ihnen das Leben leichter machen? Schauen Sie insbesondere auf die Gaben und Früchte des Heiligen Geistes! Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung; gegen all das ist das Gesetz nicht. (Galater 5)

  • Wir müssen uns ohnehin umstellen, warum nicht jetzt?

Wenn Sie jetzt von Kurzarbeitergeld, Krankengeld oder sogar Hartz IV leben müssen, so ist es auch eine große Chance. Aufgrund der Einschränkungen, die für die Bewahrung der Schöpfung auf uns zukommen werden, ist es eine gute Zeit, achtsam mit Ressourcen umzugehen, Abfall zu vermeiden und neu zu wählen. Unsere Kinder werden uns ohnehin irgendwann dazu zwingen, warum nicht sofort, freiwillig und im eigenen Tempo voranschreiten, an Güte gewinnen. Die Einschränkung wird Ihnen zeigen, was Ihnen wirklich wichtig ist. Es wird vielleicht zu einer Zeit „in der Wüste“. Doch das muss nicht zu Ihrem Schaden werden: „Der Weg durch die Wüste ist kein Umweg. Wer nicht die Leere erlitt, bändigt auch nicht die Fülle; wer nie die Straße verlor, würdigt den Wegweiser nicht.“ (Friedrich Schwanecke)

Angst vor dem Verlust geliebter Menschen

Hände der LiebeWenn Sie Angst davor haben, geliebte Menschen zu verlieren, so hilft weder Ihnen noch dem Anderen Ihre Angst. Doch sie können die Botschaft Ihrer Angst sinnvoll nutzen und durch Ihre Liebe diesen Menschen stärken:

  • Kümmern Sie sich um diesen Menschen
  • Rufen Sie an, schreiben Sie einen lieben Brief
  • Zeigen Sie ihm, dass Sie ihn lieben, sagen Sie es ihm
  • Beten Sie für diesen Menschen
  • Bitten Sie um Gottes Segen für ihn

Und wenn noch etwas zwischen Ihnen steht, räumen Sie jetzt damit auf. Vergeben Sie oder bitten Sie um Vergebung. Nutzen Sie für kleinere Themen „The Work“ von Byron Katie, um Ihre Gedanken und Gefühle zu klären. Für größere Themen biete ich „In sieben Schritten zur Vergebung“ an, dass wir auch über Skype durchführen können. “ Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“ (1.Korinther 13)

Angst vor dem eigenen Tod

Aufwärts im Kreuz

Klingt erstmal gruselig. Aber es kommt im Leben irgendwann die Zeit, sich mit der Angst vor dem eigenen Tod und unserem Verbleib auseinanderzusetzen. Warum nicht jetzt? Als erstes möchte ich Ihnen zwei Bibelworte ans Herz legen

Das Gebet von Getsemani passt besonders in diese Zeit (Mt 26):

„Da sprach Jesus zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wachet mit mir! Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst!“

Vertrauen Sie Ihre Lebenszeit Gott an. Wenn sein Wille geschieht, ist es das Beste für Ihr Leben.

Das Zweite ist das Wort von Paulus aus Philipper 1:

„Denn ich erwarte und hoffe, dass ich in keiner Hinsicht beschämt werde, dass vielmehr Christus in aller Öffentlichkeit – wie immer, so auch jetzt – verherrlicht werden wird in meinem Leibe, ob ich lebe oder sterbe. Denn für mich ist Christus das Leben und Sterben Gewinn. Wenn ich aber weiterleben soll, bedeutet das für mich fruchtbares Wirken. Was soll ich wählen? Ich weiß es nicht. Bedrängt werde ich von beiden Seiten: Ich habe das Verlangen, aufzubrechen und bei Christus zu sein – um wie viel besser wäre das! Aber euretwegen ist es notwendiger, dass ich am Leben bleibe. Im Vertrauen darauf weiß ich, dass ich bleiben und bei euch allen verbleiben werde, um euch im Glauben zu fördern und zu erfreuen.“

Leben und Sterben, wenn wir wissen, wir sind zu beiden Zeiten mit Christus, so ist dieser Gedanke nicht mehr so furchtbar. Wenn Sie Angst vor dem Tod haben, weil Sie wichtiges noch nicht getan oder erlebt haben, dann darf diese Zeit auch Ihr Weckruf sein. Das, was Ihnen jetzt einfällt, was Sie unbedingt noch erleben oder erledigen wollen, was Sie bereuen würden, in Ihrem Leben nicht getan zu haben, sollten Sie sich merken und in Ihre Todo-Liste oder Bucket-List, d.h. Liste der Träume, die Sie sich unbedingt noch erfüllen wollen, eintragen und konkrete Planungen anstellen, mit anderen darüber sprechen, sofern sie davon betroffen sind.

Ich selbst habe meine Angst vor dem Tod schon vor zehn Jahren verloren. Bei mir ist es ähnlich wie bei Paulus. Wie? Darüber schenke ich Ihnen heute eine meiner Pilgergeschichten und wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen:

Die Angst vor dem Tod verlieren

Es ist richtig kalt hier oben, St. Juan d‘Ortega liegt auf über 1000 Metern. Schon um fünf klingelt Santiagos Wecker. Er bricht früh auf. Er will heute nach Burgos laufen und früh ankommen. Schnell ist er aus dem Bett und los. Ich will schauen, ob ich irgendwo einen Bus finde und meine geschundenen Füße etwas schone. Mit Santiago habe ich mich in der kirchlichen Herberge Casa Emaús verabredet. Für uns keine Casa del Cubo in Burgos, die große neue Herberge. Der Weg nach Burgos hinein ist ab Atapuerca weniger toll. Bestimmt gibt es ab dieser Ausgrabungsstätte als Ausflugsort einen Bus nach Burgos.  Es ist immer noch ein wenig dunkel, als ich auf den Vorplatz trete.

Der Weg nach Agés führt durch Waldflecken und Wildkräuter­wiesen, läuft sich schmeichelweich. Durch die Bäume ist der Ausblick in das weite Tal erkennbar. Die Sonne brennt wie ein Feuer hinter den Bäumen der Hochebene. Ich bleibe ein paar Minuten stehen, um das Naturschauspiel zu genießen. Kann ich sogar! Heute bin ich allein unterwegs. Bald liegt Agés in einer Senke vor mir.

Hinkelstein AtapuercaHinter Agés verläuft der Weg auf der Landstraße, vorbei an abgemähten Weizenfeldern, aufwachenden Sonnenblumen und Hinkelsteinen, die uns auf Atapuerca einstimmen. Die Kirche und die ersten Häuser leuchten in der majestätisch aufgegangenen Sonne. Dort angekommen studiere ich den Busfahrplan. Es ist, wie es immer ist. Sonntags hat Spanien frei. Es gibt einen Bus. Er fährt gegen 13 Uhr. Jetzt ist es kurz vor acht. Fünf Stunden hier sitzen? Das Besucherbüro der Ausgrabungsstätte öffnet gegen 10 Uhr. Kurzes Nachdenken, schnelle Entscheidung: doch zu Fuß, aber diesmal werde ich hinter der Autobahn den anderen Abzweig nach Burgos nehmen, verspreche ich mir. Der Aufstieg zur Sierra de Atapuerca liegt vor mir. Linkerhand zieht eine große, graue Schafherde den Berg hinauf. Ein Schaf haben sie zurückgelassen, sehe ich. Eins, nein zwei, ein Mutterschaf und ein frischgeborenes Lamm. Es ist noch ganz feucht. Sie leckt es trocken. Nach einer Weile steht es wackelig und zitternd auf, fällt wieder hin und steht auf, torkelt auf seine Mutter zu und beginnt zu trinken. Ein paar Pilger verweilen mit mir, um sich diesen besonderen Moment des Lebens mit anzusehen. El Cordero – das Lamm. Was für ein Zeichen! Kurz darauf entdecke ich einen großen Herzstein im Kopfsteinpflaster. Auf der Hochebene begrüßt mich das Kreuz. Mir gefällt, dass der gelbe Pfeil direkt nach oben in den Himmel zeigt. Stimmt. Da ist das wichtigste Ziel! Hinter dem Kreuz kommt die große Spirale. Vor drei Jahren hat mich die Spirale mehr interessiert als das Kreuz, heute ist es umgekehrt. Groß ist sie geworden! In der Ebene liegt mir nun – noch in 20 Kilometer Distanz – Burgos zu Füßen. Auf denn!

Immer wieder treffe ich einen Spanier mit einem grünen T-Shirt. Mal läuft er schneller, eine Zeitlang in Begleitung eines Pärchens, dann mach ich weniger Pausen und überhole ihn. Schließlich treffen wir uns an einem Getränkeautomaten, der samt einem überdachten Rastplatz mitten in der Pampa nahe einem Fabrikgebäude steht.

Nun geht es über die Dörfer, wieder den Hinterhof von Burgos. Allein unterwegs beginne ich, ausführlich Lobpreis zu singen und zücke alsdann meinen Rosenkranz. Heute ist er dran so wie das Amen in der Kirche. Ich wähle an diesem Tag die glorreichen Geheimnisse von der Auferstehung bis zur Krönung Mariens im Himmel. Bei dem 4. Geheimnis, Maria Himmelfahrt, manifestiert sich das heutige Fest auf ganz eigene Weise: Mal wieder werde ich beim Imaginieren von Maria Himmelfahrt in das Geschehen hineingezogen werde. Ich erlebe sehr deutlich den Moment, als Maria stirbt und in die geistige Welt übergeht. Heute ist es anders: Ich sehe, dass Jesus sie mit weit geöffneten Armen empfängt und mit einer so unvergleichlich warmen Stimme „Mama“ zum Willkommen sagt, so als habe er lange voller Sehnsucht gewartet und sich unheimlich darauf gefreut, seine Mama endlich in den Arm nehmen zu können.

Er strahlt in einem berührenden Glanz von Herzlichkeit, dass man auf ihn zulaufen möchte und sich ihm in die Arme werfen möchte. Ich freue mich so für Maria. Tränen laufen meine Wangen hinunter. Ein weiteres Gefühl entsteht: „Bitte, wenn’s irgend geht, das hätte ich auch gern, Jesus, dass du da stehst, wenn ich sterbe, und mich mit meinem Namen so willkommen heißt!“  Er strahlt mich an: „Kannst Du haben! Ich werde da sein!“ sagt er mit derselben warmen Stimme. Nach dem 10. Ave-Maria ist das Geheimnis und die Vision vorbei, aber die Antwort und dieses warme Gefühl bleibt.

Ganz ehrlich? Ich verliere an diesem Tag meine Angst vor dem Tod in der Vorstellung dieser Begrüßung beim Übergang. Ich glaube fest an sein Wort! Es ist unwichtig, zu welchem Zeitpunkt er mich holt. Ich habe ein Leben gelebt, in dem ich viel erlebt habe. Auch glaube ich nicht, dass es sehr früh sein wird. Denn wofür hätte er sich sonst so viel Mühe mit mir gegeben? Was für ein Geschenk an diesem Himmelfahrtstag Mariens! Ich denke wieder an das neugeborene Lämmchen, Mutter und Kind, und den Herzensstein.

Herzstein bei Atapuerca
Der Herzstein

Immer mehr legt sich die pralle Sonne ins Tal. Um kurz nach 12 Uhr stehe ich vor dem Ortseingangsschild von Burgos. Einen Stadtplan gibt es ebenso. Ich suche nach der Straße, wo die Emaús Herberge sein sollte und finde sie in der Rua San Pedro Cardeña. Mit Burgos fangen auch die Läden an. Ich kaufe mir ein wundervoll knuspriges Stück Kuchen mit viel Puderzucker drauf, ähnlich einem Prasselkuchen. Plötzlich stehe ich vor dem Spanier mit dem grünen T-Shirt. Er lacht über mein verkrümeltes Gesicht und meinen Kuchen: „Ich habe mir auch gerade diesen Kuchen gekauft.“ Als ich mich umdrehe, sehe ich den Eingang einer Kirche hinter mir. Ich verabschiede mich von ihm und gehe hinein. Er ruft mir zu: „Wir sehen uns später!“ Ich denke bei mir: „Eher nicht!“ Ich gehe ja nicht in die große neue Herberge Casa dos Cubos.

Als ich die Kirche betrete, beginnt die Messe. Ohne alle Planung geschafft! Die Kirche heißt „Santa Maria la Real“, perfekt! Ich setze mich in die drittletzte Reihe direkt neben den Taufstein und packe meinen Kuchen wieder ein, auch wenn ich ihn im Moment lieber komplett aufessen würde. Aber ein wenig Pietät muss sein! Es ist eine richtig gemütliche Gemeindemesse. Die Lesung kenne ich schon von gestern, die Offenbarung. Die zweite Lesung stammt aus dem 1. Korinther, die ist neu. Ich höre von Christus und Adam und den Satz: „Der letzte Feind, der besiegt wird, ist der Tod. Denn Gott hat alles seiner Herrschaft unterworfen.“

Puuhh, die arbeiteten aber heute wieder passgenau zusammen! Erst das Gebet mit dem liebevollen Todeserleben Mariens, dann das! Ja, der Feind Tod ist kein Feind mehr für mich, er ist ein Tor. Wann immer er kommen wird, wartet eine riesige Freude auf mich. Während des Magnificat aus dem Lukas-Evangelium schaue ich nach links zum Taufstein und falle fast aus der Bank. Große rote Lettern stehen im Bogen darüber. Jetzt bin ich völlig überzeugt, dass ich gemeint bin, dass ich einen solchen Tod haben darf, denn nur ich sitze an diesem Tag nach diesem Gebetserleben in dieser Kirche neben diesem Taufstein. Er sagt mir: „Wir haben die Tür des Himmels für Dich geöffnet!“ Die Tür des Himmels wird für mich geöffnet!!

„Watt?“ könnte man sich jetzt fragen, „Pilger spinnen! Drehen die von der vielen Sonne völlig durch?!“ Nein, das ist die Art, wie Gott sich uns auf dem Weg verständlich macht, man muss nur offen sein. Durch das Gebet, durch Dinge, die plötzlich vor unseren Augen auftauchen, durch Begegnungen, durch das Wort/die Lesung. Wie auf Wolken verlasse ich die Kirche und schwebe Kuchen krümelnd die letzte Strecke bis zur Herberge. .

Als ich bei der Casa Emaús um die Ecke biege, sehe ich als erstes ein grünes T-Shirt. Der Spanier ist auch da! Wahrscheinlich hatte er aus meinem Rosenkranz und meinem Kirchgang geschlossen, dass ich diese Herberge aufsuchen werde! Wir lachen uns an und wieder klickt es bei mir. „Wir sehen uns später!“ Das hat mir heute noch jemand versprochen. Diese Begegnung scheint mir nochmals als Bekräftigung dafür. Der Spanier heißt José und kommt – aus Barcelona!

Es geht so etwas wie die Tür zum Himmel auf! Über breite, glänzende Marmortreppen erreichen wir die Pilgerherberge. Es ist fürstlicher als ein Hotel­eingang. Die Herberge ist im Gebäude der Gemeinde San José Obrero untergebracht. Die Hospitaleros heißen als Almudena und Javier. In einem bequemen Aufenthaltsraum mit großem Esstisch und Bibliothek mit Sitzecke tragen sie uns in die Liste ein. Danach dürfen wir unsere Betten belegen. Die Zimmer sind echter Pilgerluxus! Almudena wirbelt in der Küche und bereitet das Abendessen vor. „Brauchst du Hilfe?“, fragen wir. „Nein, ist nicht nötig. Macht euch einen schönen Nachmittag!“ So sind wir reif für das feiertägliche Burgos. Nach 10 Minuten sind wir in der Innenstadt. Ich möchte auch in die Kathedrale und mir den Stempel holen. Über den kostenlosen Seiteneingang schnuppern wir ein wenig Kathedralluft. Wir versichern uns, dass am nächsten Morgen wieder die gesungene Messe um 10 Uhr stattfindet.

Als wir wieder in der Herberge auftauchten, rät uns Almudena zur eucharistischen Anbetung in der Kirche. Sie hat alles im Griff in der Küche. DAS ist eine gute Idee und ein netter Zug von ihr! Obwohl die Kirche von San José Obrero recht modern und neu ist, herrscht eine heimelige Atmossphäre. Als wir ankommen, ist noch die Hostie in der Monstranz ausgesetzt. Irgendwann steht der Pater auf, der vor dem Altar auf dem Fußboden gelegen haben muss, stellt die Monstranz ins Tabernakel und beginnt die Messe.

Der Abendbrottisch füllt sich, bis wir alle eng beieinander­sitzen. Ein kleiner Kreis, die wie wir die auf dem Jakobsweg das Christliche suchen und finden. Gestern gab es in der Gemeinde ein Fest, dessen exzellenter Reste wir begeisterte Nutznießer werden: Salate, Canapés, gefüllte und fritierte Teigröllchen, gebratene Fleischstückchen. Als Hauptspeise gibt es eine Linsensuppe mit mediterranem Gemüse. Nach dem kulinarisch schmalen Abend in San Juan de Ortega für uns eine willkommene Abwechslung!

Hélène, eine Französin, erzählt von einem Spruch, den sie vor dem Camino hörte: „Nicht der Weg ist schwer, sondern das Schwere ist der Weg.“ Inzwischen hat sie verstanden, was damit gemeint ist: Pilgern ist oft wirklich anstrengend, das gehört einfach dazu. Es hätte nicht die gleiche Wirkung, wäre nicht so prägend, wenn alles nur glatt und geradeaus geht. Ich erzähle die Geschichte von meinem heutigen Gebet, meinen fabelhaften Aussichten für meinen Tod und dem Spruch am Taufstein. Auch hier, in dieser Herberge, hat sich der Himmel für mich geöffnet und ich dankte Almudena, Javier und der Gemeinde für die herzliche Aufnahme.

José erzählt: „In diesem Frühjahr haben sich in meinem Leben so intensiv Zeichen und Hinweise auf den Jakobsweg gehäuft. Ich habe nachgegeben und mir das Pilgern vorgenommen. Es tut mir ausgesprochen gut, denn ich habe gerade eine Trennung überstanden. Wisst Ihr was? Seither habe ich komplett die Kontrolle aufgegeben und Gott alles überlassen, damit er mir zeigt, warum er mich auf dem Weg haben will. Jeden Morgen bitte ich ihn: Bitte überrasche mich heute von Neuem!“ Das gefällt mir und ich nehme es auch für mich mit: Überrasch mich bitte heute wieder!


Ich bin zur Ruhe gekommen, mein Herz ist zufrieden und still.        Psalm 131,2


Denken Sie dran, Sie sind

Von Guten Mächten wunderbar geborgen.

Immer! Seien Sie gesegnet!

 

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